Die Meisten von uns verbindet eine Hassliebe mit dem öffentlichen Nahverkehr. Einerseits quetscht man sich täglich in völlig überfüllte Bahnen, andererseits erspart man sich somit möglichen Stau und spart erheblich Abgase ein. Viele bemängeln jedoch weiterhin die hohen Kosten des öffentlichen Personennahverkehrs und geben an, dass das Autofahren sogar günstiger sei. Das mag für viele Städte in Europa sogar stimmen. In Berlin, Hamburg oder München zahlen Nutzer oftmals bis zu 200 Euro monatlich für ihr Ticket. Da ist es kaum verwunderlich, dass einige Leute schwarzfahren. Das verursacht jährlich einen Schaden von bis zu 250 Millionen Euro. Was kann eine Stadt also tun, um die Abgaswerte zu reduzieren und gleichzeitig ihren Bürgern den ÖPNV schmackhaft zu machen?
Tallinn hat die Lösung: Kostenlose Bahn für alle!
In der estnischen Hauptstadt Tallinn fahren seit Januar 2013 alle Bürger der Stadt (fast) kostenlos mit Bahn und Bus. Die Bewohner müssen lediglich eine sogenannte „Green Card“ für zwei Euro erwerben und können damit ein ganzes Jahr lang in Verbindung mit ihrem Personalausweis kostenfrei fahren. Die Stadt finanziert diese Leistung über Steuern. Vor der Einführung kostete eine Monatskarte 18,50 €, in Estland ist das für viele beinahe ein Zehntel seines Einkommens. Tallinn möchte also vor allem auch weniger reichen Familien die Mobilität ermöglichen. Und der Plan geht auf: seit der Einführung nutzen deutlich mehr Leute den ÖPNV und deutlich weniger Autos wurden auf den Straßen gesichtet. Bereits im ersten Monat nach der Einführung verringerte sich der Straßenverkehr um 15 %, Busse und Bahnen beförderten in der gleichen Zeit 6 % mehr Passagiere.
Der Vorreiter: Hasselt in Belgien
Als Vorbild für die Einführung eines kostenfreien Nahverkehrs gilt in Europa die Stadt Hasselt in Belgien. Dort ist der ÖPNV seit 1997 kostenlos. Seitdem hat sich die Zahl der Passagiere vervielfacht. Und nicht nur das, sogar die wirtschaftliche Lage der Innenstadt verbesserte sich dadurch erheblich. Mit seinen 80.000 Einwohnern ist Hasselt zwar 5-mal kleiner als Tallinn und besitzt nur ein Sechstel so viele Busse und Bahnen wie Tallinn und ist somit kaum vergleichbar. Jedoch ist sich die Stadtverwaltung sicher, dass auch Tallinn und vor allem dessen Einwohner von dem neuen Konzept profitieren werden.
Es wird sich zeigen, ob die Initiative nachhaltig Erfolge zeigt. Die Nachbarländer warten gespannt auf ein aussagekräftiges Ergebnis, denn auch Helsinki, Riga und Vilnius wollen einen ÖPNV zum Nulltarif anbieten können. Vielleicht ziehen bald auch weitere europäische Städte nach. Der Umwelt wäre es zu wünschen!